Erdogan ruft nach Wahlsieg zu "Einheit und Solidarität" auf
Nach einem mit harten Bandagen geführten Wahlkampf in der Türkei hat siegreiche Präsident Recep Tayyip Erdogan sein Land zur "Einheit und Solidarität" aufgerufen. Es sei an der Zeit, "die Streitigkeiten des Wahlkampfes zu überwinden", sagte er am Sonntagabend vor feiernden Anhängern in Ankara. Der 69-Jährige hatte in einer Stichwahl über den Oppositionskandidaten Kemal Kilicdaroglu gesiegt - allerdings mit nur knappen Vorsprung.
Der islamisch-konservative Amtsinhaber errang nach Angaben der Wahlbehörde gut 52 Prozent der Stimmen, sein sozialdemokratischer Herausforderer Kilicdaroglu knapp 48 Prozent. Dies war der knappste Sieg für den seit 20 Jahren die Türkei anführenden Erdogan, was nach Ansicht von Experten Zeichen der sich immer mehr vertiefenden Spaltung des Landes ist.
Es sei an der Zeit, "die Streitigkeiten des Wahlkampfes zu überwinden" und sich in Einheit und Solidarität "um die Träume unserer Nation" zu vereinen, sagte Erdogan in seiner Siegesansprache vor feiernden Anhängern vor dem Präsidentenpalast. Sein unterlegener Herausforderer Kilicdaroglu zeigte sich dagegen "traurig" über die Folgen von Erdogans Sieg für die Zukunft der Türkei und kündigte an, weiter für einen Politikwechsel zu kämpfen.
Erdogan wurde für weitere fünf Jahre gewählt, vermutlich bereits am Dienstag wird er seinen Amtseid ablegen.
"Unser Volk hat den Richtigen gewählt", sagte die 17-jährige Nisa Sivaslioglu, die in Ankara Erdogan zujubelte. "Ich erwarte, dass Erdogan den guten Dingen, die er schon für unser Land getan hat, weitere hinzufügen wird." Dagegen sagte der 20-jährige Ingenieurstudent Kerem: "Ich habe keine Hoffnung mehr, ich werde so schnell wie möglich ins Ausland gehen."
Der Staatschef stand zuletzt wegen der verheerenden Wirtschaftskrise in der Türkei in der Kritik. Zudem wurde ihm sein zögerliches Krisenmanagement nach dem Erdbeben im Februar mit 50.000 Toten vorgeworfen. Dies alles konnte seine Anhänger jedoch offenbar nicht davon abhalten, Erdogan die Treue zu halten.
Erdogan, einst Hoffnungsträger des Westens, wird vorgeworfen, mit zunehmend harter Hand zu regieren und das Land in den vergangenen zwei Jahrzehnten in eine Autokratie geführt zu haben. Seine Wiederwahl könnte nun bedeuten, dass Erdogan seine Macht weiter zementiert. Sein hartes Vorgehen gegen Andersdenkende und die Inhaftierung zahlreicher Oppositioneller werden in der westlichen Welt mit Sorge gesehen. Auch Erdogans Außenpolitik stößt zunehmend auf Kritik.
Einer der ersten Glückwünsche zum Wahlsieg kam aus Moskau, wohin Erdogan trotz des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine weiterhin gute Beziehungen unterhält. Erdogans Wahlsieg sei "ein klarer Beweis für die Unterstützung des türkischen Volkes für Ihre Bemühungen, die staatliche Souveränität zu stärken und eine unabhängige Außenpolitik zu verfolgen", erklärte Präsident Wladimir Putin. Moskau verfolge mit der Türkei "ehrgeizige gemeinsame Ziele", fügte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hinzu.
In den USA, die zuletzt wiederholt Streitthemen mit Ankara hatten, äußerte Präsident Joe Biden seine Erwartung, dass beide Länder "weiter als Nato-Verbündete bei bilateralen Themen und gemeinsamen globalen Herausforderungen zusammenarbeiten". Auch Nato-Generalsekretär Stoltenberg erklärte, er freue sich auf die Fortsetzung der Zusammenarbeit und die Vorbereitung des Nato-Gipfels im Juli in Vilnius. Dabei soll es unter anderem um die türkische Blockade des schwedischen Nato-Beitritts gehen.
Aus Deutschland gratulierten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). "Nun wollen wir unsere gemeinsamen Themen mit frischem Wind vorantreiben", kündigte Scholz an.
Der Grünen-Politiker Cem Özdemir äußerte sich dagegen kritisch zu den Feiern von Erdogan-Anhängerinnen und Anhängern in Deutschland. Hier feierten Menschen, "ohne für die Folgen ihrer Wahl einstehen zu müssen", schrieb der Bundeslandwirtschaftsminister im Onlinedienst Twitter. Unter anderem in Berlin, Frankfurt am Main, Mainz, Mannheim und Duisburg hatte es am Sonntagabend spontane Jubelfeiern und Autokorsos für Erdogan gegeben.
M.Romero--PV